Königreich Marudu
Marudu erstarkte unter Syarif Osman zum "kerajaan", was übersetzt "Königreich" bedeutet. Syarif Osman schaffte, was vor und nach ihm niemandem in dem Gebiet gelang: Er einte es und erschuf es als eigenständiges politisches Gebilde. Es nahm ungefähr das Gebiet des heutigen Sabah ein, reichte darüberhinaus sogar bis Palawan.
Marudu grenzte im Süden an da Sultanat von Brunei. Kimanis, das als Erbe dem Pengiran Usop von Brunei - einem Freund von Syarif Osman - gehörte, stellte die Grenze dar. Es wird aber auch berichtet, dass Osman eine Handelsstation auf Labuan einrichten wollte. Die Insel war vor der britischen Besetzung von 1846 besiedelt. Brooke wollte diese Insel für Großbritannien gewinnen, und vielleicht war das auch ein Grund, warum er Syarif Osman aus dem Wege schaffen wollte. - Im Osten grenzte Marudu an das Sultanat von Sulu, wobei es hier zu Überschneidungen der Kontrollbereiche gekommen sein wird. In Südostasien war es üblich, dass stets Menschen kontrolliert worden sind und nicht festgeschriebene Territorien, was bedeutet, dass ein Flusssystem, das eigentlich im Gebiet von Marudu lag, auch Sulu unterstehen konnte.
Nach dem verheerenden Ereignis am 19. August 1845, an dem die Briten Marudu zerstörten, zerfiel das Gebiet wieder in verschiedene Einflussbereiche. Unter Osman war Marudu autonom gewesen und er ein unabhängiger Herrscher, der von den Sultanaten und anderen lokalen Bevölkerungsgruppen akzeptiert worden ist. Nach der Schlacht von Marudu erkannten die Briten anhand von Kleidung und Waffen viele einflussreiche lokale Persönlichkeiten unter den Gefallenen. Sie alle hatten zu Syraif Osmans Bündnispartnern gehört. Er wurde geradezu als Freund und Verwandter von Sultansfamilien geschätzt, aber ebenso von den Europäern vor Ort akzeptiert. So erkannten ihn sowohl der spanische Gouveneur von Manila namens Claveria an, als auch der britische Gouverneur Butterworth von Singapur, der ihn korrekt als "Raja von Marudu" betitelte und gern mit ihm Handel treiben wollte.
Die drei Einflusssphären von Marudu
Marudu weist drei Einflusssphären auf: Je näher eine Sphäre am Zentrum Syarif Osmans am Marudu-Fluss lag, desto stärker war Osman Einfluss in dieser Sphäre.
Sphäre 1) Die Bucht von Marudu galt als Osmans Kernbereich. Eine Liste von 1851 belegt, wie viele Familien an welche Orten der Bucht Osman tributpflichtig waren. Der Brite Spenser St. John erhielt diese Liste vom Sohn Syarif Osmans, der Syarif Hassan heißt, und errechnete, dass 60 000 Menschen Osman in den Gebieten der Bucht von Marudu unterstanden. Hinzu kommen noch jene der vorgelagerten, recht großen Inseln Banggi und Balambangan. Die Bucht weist vier große Flüsse, die Handelsadern waren. Syarif Osman ließ viele neue Siedlungen erreichten. Das Zentrum aber lag im Süden der Bucht, ziemlich genau in der Mitte. Es war befestigt, Stapellager und Handelszentrum. Hinter der Festungsanlage lag der eigentliche Ort und die umgebenden Felder.
Sphäre 2) Weiter entferntere Flüsse bilden die zweite Sphäre. Flüsse galten als Distrikte. Die Oberhäupter unterstanden Syarif Osman, sie waren tribut- und dienstpflichtig, so z. B. Ambong, Tempasuk und Pandasan. Es gibt verwandtschaftliche Beziehungen. Syarif Osman ging gegen Oberhäupter, die den geforderten Tribut nicht zahlen wollte, rigoros vor.
Sphäre 3) Die dritte Sphäre ist jene der Allianzen. Hier leben Anführer, die sich Osman per Allianz versichert hatten, wobei er auch hierbei immer als der stärkere der Partner galt, doch die Kontrolle von Syarif Osman war hier nicht mehr so stark wie in den beiden anderen Sphären. Seine Allianz mit Sandokong von Melapi (am Kinabatangan) ist bekannt, der wahrscheinlich seine Vogelnester zum Umschlagplatz in Marudu gebracht hat, die bei den Chinesen großen Absatz fanden und als begehrtes und teures Handelsgut galten. In mündlichen Überlieferungen werden Osman und Sandokong als Freunde und Kampfgefährten dargestellt.
Karte mit den drei Einflusssphären vom Königreich Marudu:
Sphäre 1 ist dunkelrot, 2: mittelrot, 3: hellrot.