Erwähnungen der ethnischen Gruppen in den Sandokan-Romanen von Salgari

Die ethnografischen Erwähnungen in den Romanen von Emilio Salgari, die in Indien und Malaysia spielen (Vortragstext von Dr. Bianca Maria Gerlich, deutscher Text)

(I RIFERIMENTI ETNOGRAFICI NEI ROMANZI DI EMILIO SALGARI DELL’INDIA E DELLA MALESIA)


I Ethnien, die in “Le Tigri di Mompracem” genannt werden

Der heutige Vortrag geht über die Völker Borneos, die von Emilio Salgari in seinen Sandokan-Romanen erwähnt werden. In seinem ersten Roman zählt er die Völker auf, aus denen sich die Anhänger von Sandokan zusammensetzen.

“Che uomini e che tipi!

Vi erano dei malesi, di statura piuttosto bassa, vigorosi e agili come le scimmie, dalla faccia quadra e ossuta, dalla tinta fosca, uomini famosi per la loro audacia e ferocia; dei battias, dalla tinta ancor più fosca, noti per la loro passione per la carne umana, quantunque dotati di una civiltà relativamente assai avanzata; dei dayaki della vicina isola di Borneo, di alta statura, dai lineamenti belli, celebri per le loro stragi, che valsero loro il titolo di tagliatori di teste; dei siamesi, dal viso romboidale e gli occhi dai riflessi giallastri; dei cocincinesi, dalla tinta gialla e il capo adorno di una coda smisurata e poi degli indiani, dei bughisi, dei giavanesi, dei tagali delle Filippine e infine dei negritos con delle teste enormi ed i lineamenti ributtanti.”

Salgari nennt hier nicht nur Ehtnien aus Borneo, sondern auch andere Bevölkerungsgruppen aus Ostasien. Als erstes nennt er die Malaien, die in ganz Südostasien anzutreffen sind - also auch in Borneo. Zu ihnen und denen Dayak bzw. den Völkern von Sarawak und Sabah kommen wir später. Die von Salgari genannten Ethnien, die nicht auf Borneo ursprünglich vorkommen, sind:

Die Battias – Batak – stammen aus Sumatra, dort leben sie rund um den Toba-See. Sumatra gehört heute zu Indonesien. Batak ist ein Sammelbegriff, der verwendet wird, um eine Reihe eng verwandter austronesischer ethnischer Gruppen zu identifizieren.

Salgari charakterisiert sie als kulturell weit entwickelt, aber auch als Kannibalen. Das traf tatsächlich zu, die Batak aßen Menschenfleisch von Verurteilten und Gefangenen. Sie schlachteten sie ritualmäßig und verteilten die Körperteile je nach Ansehen des Essers. (Ida Pfeiffer, Junghuhn) Heute natürlich nicht mehr...

Außer den Batak erwähnt Salgari:

- die Siamesen, also Thai (Thailand),

- die Cochinchinesen, also Vietnamesen. Cochinchina umfasste Südvietnam und Teile des östlichen Kambodschas,

- Inder,

- Bugis aus dem Süden der Insel Sulawesi, - von denen tatsächlich viele in Borneo einwanderten - , - Giavanesi (Javaner) von der Insel Java (Indonesien), z. B. stellt Salgari den Giro-Batol zunächst als Javaner dar, später bezeichnet er ihn als Malaien, das muss sich aber nicht ausschließen.

- die Tagalog aus den Philippinen,

Negritos – das ist die Urbevölkerung, die noch in einigen Regionen von Südostasien vorkommt, vornehmlich auf der malaiischen Halbinsel und auf den Philippinen. In Malaysia werden sie unter “Orang Asli” (Ursprungsmenschen) zusammengefasst.

Außer der Auflistung an Ethnien, die Mompracem bewohnen, weist Salgari Einzelpersonen die ethnische Herkunft zu.

Patan ist ein Malaie, Giro-Batol Javaner und Malaie, Kili-Dalu ist Negrito, Sabau ist Malaie, Juioko (auch: Jujoko, Inioko) und Ikaut sind Dayaken, Paranoa wird zunächst als Dayake bezeichnet, später dann als Malaie; einige junge Tiger werden nur per Namen erwähnt, so Ragno di Mare, Pisangu, Maratua, Singal und Sangui.

Übrigens, Sandokan selbst sagt ausdrücklich von sich, dass er kein Malaie sei, sondern Bornese. Das ist etwas rätselhaft und könnte vieles sein/bedeuten. Auf jeden Fall stammt er aus einer indigenen Gruppe aus Sabah.

Ich werde mich auf die ethnischen Gruppen, die in im malaysischen Borneo vorkommen, konzentrieren und zwei Völker etwas genauer vortellen. Die beiden heutigen Bundesstaaten Malaysias in Borneo, Sabah und Sarawak, sind die Orte, in denen die meisten der in Südostasien spielenden Romane um Sandokan spielen. Er selbst stammt aus Sabah, sein Widersacher James Brooke war der erste weiße Rajah von Sarawak.


II Allgemeine Informationen

Es ist schwierig, die Situation der indigenen Völker auf Borneo vor der Ankunft der Europäer und der modernen Staatenbildung zu erfassen. Sie selbst haben nichts niedergeschrieben. Selbst ihre Namen sind Exonyme, das bedeutet, dass andere ihnen diese Namen gegeben haben. So stammen die Namen „Dusun“, „Bajau“ und Dayak“ aus dem Malaiischen:

“Orang Dusun”: “Bauernhof/Garten, Orang: Mensch” (malaiisch: Dusun),

„Bajau“: „fischen“ (im bruneischen Malaiisch),

„Dayak“ kommt von “daya”: „landeinwärts“ (im bruneiischen Malaiisch)

Sie selbst bezeichnen sich als Menschen vom Ort x, also zum Beispiel Orang Sungai (Mensch vom Fluss). Originale Namen sind auch sehr wahrscheinlich verloren gegangen.

Die indigenen Völker Borneos gehören wie die Malaien zu den Austronesiern, das heißt ihre Sprachen gehören dem austronesischen Sprachenkreis an. Sie waren schon sehr früh in Borneo, vermutlich seit dem 3. Jahrtausend vor Christus. Die Ethnien in Sabah und Sarawak sind mehr untereinander verwandt als mit anderen Ethnien in Südostasien. Für die meisten einheimischen „nicht-malaiischen“ Ethnien Borneos gilt, dass sie egalitär waren, das heißt sie kannten keine sozialen Klassen bzw. Unterscheidungen, die Geschlechter waren gleichberechtigt und auch die Abstammung war väterlichseits wie mütterlichseits gleichbedeutend. Das Langhaus gab es sowohl in Sabah (Kadazan-Dusun, Murut) als auch in Sarawak (Iban, Bidayuh).

DNA-Studien haben im letzten Jahrzehnt ergeben, dass die größte Gruppe aus Sabah, die Kadazan-Dusun, in der Tat die einheimische ortsansässige Bevölkerung darstellen. Daten von einem antiken Dschungel-Friedhof haben ein Alter von zwölftausendsiebenhundert Jahren ergeben.

Die Kadazan-Dusun selbst haben als Ursprungsort den Ort Nunuk Ragang auserkoren, der in Legenden mündlich überliefert worden ist. Er liegt an der Stelle, wo zwei Flüsse (Liwagu Kogibangan und Liwagu Kowananan) zusammenfließen und in den Labuk Fluss fließen, der zur Sulu See fließt. Es heißt, dass unter einem riesigen roten Banyan Baum eine Siedlung namens Nunuk Ragang gegründet worden ist. Unter dem Schutz des Banyan konnten zehn Familien leben. 2004 wurde von der KDCA (Kadazan Dusun Cultural Association) ein Kultort dort errichtet statt.

III Inland- und Küstenbevölkerung

Die große Unterscheidung in Südostasien ist jene zwischen der Inland- und Küstenbevölkerung. Die Inlandvölker entsprechen in Borneo den Dayak/Kadazan-Dusun und anderen und die Küstenbevölkerung wären die Malaien. Diese Küstenbevölkerung hat sich an einer Flussmündung niedergelassen, um nun den Handel zwischen der Inlandsbevölkerung und anderen Flusssystemen organisieren. Bronsons Modell aus “Upstream and Downstream Ends” verdeutlicht dies. (Power Point:) A wären die Malaien, die anderen Buchstaben stehen für inländische Gruppen.

Die Malaien bildeten sogenannte Thalassokratien, also handelsorientierte Küstenstaaten. Sie haben im Laufe der Zeit den islamischen Glauben übernommen.

Ich möchte das anhand eines Beispiels in Sabah, nämlich Sandokans Heimat, und zwar Marudu, verdeutlichen: Die indigene Bevölkerung, die im Nordwesten lebte, waren überwiegend Kadazan-Dusun und insbesondere im Gebiet von Marudu die Rungus-Dusun. Später kamen die malaiischen Händler an diese Küsten und bildeten Thalassokratien, so Brunei und Sulu.

Auch Marudu, im Norden von Borneo gelegen, ist ein malaiisch-maritimer Küstenstaat gewesen unter der Herrschaft von Syarif Osman, Sandokans Freund, und hat leider nur sehr kurze Zeit bestanden, da die Briten Marudu im Jahr 1845 unter dem Vorwand der Piraterie vernichteten.

Hier ist eine Skizze von Marudu als Thalassokratie.

Die Bucht von Marudu bildet das Zentrum, die islamische Einwanderer-Gesellschaft rund um Syarif Osman organisiert den Handel und regiert, die bereits an den Flüssen einwärts gelegenen Ethnien wie die Rungus Dusun werden regiert und liefern Handelserzeugnisse als Tribut ab, aber auch Arbeitskraft bzw. waren dazu verpflichtet, im Falle eines Angriffes Krieger abzuordnen, die unter Syarif Osman kämpften. Sie profitieren nicht nur durch vermehrte Handelsmöglichkeiten, sondern auch durch den Schutz, den Syarif Osman bietet. Seine Festung war ein Bollwerk gegen die Piraten, die damals eine ständige Bedrohung waren, weil sie die Küsten auf der Suche nach Sklaven abklapperten, die sie auf den Sklavenmärkten verkaufen konnten.

Die indigenen Völker mussten nicht den Islam annehmen, wohl aber sich nach dem ortsüblichen einheimischen Recht richten, nämlich das sogenannte Adat. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht und Sittengesetz, das in ganz Südostasien angewendet ist, natürlich in Variationen.

Osman scheint einerseits sehr streng gewesen zu sein, andererseits scheint er aber auch Rücksicht auf die Gepflogenheiten der einheimischen Bevölkerung genommen zu haben, indem er laut Überlieferung der Rungus Dusun zum Beispiel deren Glauben respektierte.

Die Rungus lebten in der Bucht von Marudu, und zwar auf der rechten und linken Halbinsel, wo Syarif Osmans Einfluss sehr groß gewesen ist.

IV Die Rungus Dusun

Die Rungus Dusun gelten als besonders traditionsbewusst. Sie bezeichnen sich selbst als „Momugun“. Ich möchte diese Ethnie genauer vorstellen.

“Though it is uncertain how long the Rungus have been occupying the area, they are considered to be the most traditional tribe in Sabah due to their isolation from the bigger towns for so many years. While many have adapted to modern living rather well, the older generations still clutch to their unique culture and traditions.” (Bahauddin u. a. 2014: 3)

Da die Rungus sich gerade in letzter Zeit mit anderen Ehtnien vermischen, ist es schwierig, ihre Anzahl genau zu sagen. 1962 wurde die Anzahl auf ca. 10 000 Runugs geschätzt. Das Joshua-Projekt (Internet) kommt aktuell auf 71 000.

Auffällig und ein Gegensatz zu anderen indigenen Gesellschaften ist, dass die Familie zentral ist und es daneben quasi keine weitere Organsation gibt.

Appell (1978: 145): “The Rungus domestic family is the only production, consumption and asset-accumulating social isolate in Rungus Society, and thus is the only type of operating social isolate. Furthermore it is the most important corportate entity in the economic, jural, and ritual realms.”

Die Familie ist das einzige produzierende, konsumierende und vermögensbildende soziale Isolat in der Rungus-Gesellschaft. Es gibt kaum eine andere wahrnehmbare soziale Einheit bei den Rungus, also zum Beispiel einen Anführer oder eine Dorfgemeinschaft.

Die Familie ist sowohl juritisch als auch in religiöser Hinsicht eigenständig. Sollte einmal etwas vorfallen, das mehr als eine Familie betrifft, dann setzen sich alle Familienväter zusammen, bilden einen Rat und einigen sich auf Maßnahmen. Meistens muss der “Straftäter” ein Opfertier bereit stellen, um die Situation zu bereinigen.

Die Familie besteht aus einem verheirateten Paar – den Familiengründern – und deren unverheirateten Kindern, manchmal kommt noch ein verwitwetes Elternteil dazu und zuweilen für ein Jahr ein Schwiegersohn, der traditionell ein Jahr lang im Haushalt seiner Braut lebt, bevor die beiden selbst einen Haushalt gründen.

Diese Familieneinheit besitzt ein Apartment in einem Rungus Langhaus, benutzt gemeinsam einen Herd, arbeitet zusammen und verwaltet auch den gemeinsamen Besitz. Der Ehemann, steht der production unit vor und betreibt den Handel mit den Chinesen oder mit der muslimischen Küstenbevölkerung.

Die Langhäusern stehen auf circa einem Meter über dem Boden. Sie bilden eine Art Reihenwohnungen. Eine Familie beginnt mit einer Einheit, weitere Familien folgen und bauen rechts und links an, bis ein Langhaus entsteht. Dabei gibt es einen abgeschlossenen “inneren” Bereich (“ongkob”) und einen “äußeren” offenen (“apad”), der zusammen mit den offenen Bereichen der anderen Familien eine Art Veranda bildet, über die alle gehen dürfen, allein schon, um ihre Wohnungstür zu erreichen.

Ein Langhaus kann zwei bis theoretisch unendlich viele Apartments beinhalten. Heute hat man in der Regel maximal zehn Apartments. In früheren Zeiten sollen sie aber auch schon sehr lang gewesen sein, zum Beispiel fünfundsiebzig Apartments.

Meistens stehen zwei Langhäuser nebeneinander und bilden einen Weiler (kleines Dorf). Ein Dorf besteht aus mehreren solcher kleinen Orte und befindet sich an einem Fluss. 1972 lebten 138 Personen im Durchschnitt in einem Dorf.

Die Rungus leben traditionell hauptsächlich von der Landwirtschaft, sie bauen Nass-Reis, Mais und Maniok an, Felder entstehen durch Brandrodung. Sie pflanzen Kokosnüsse und Bananen. Sie sammeln Wildfrüchte und Honig. Besonders wichtig und sehr streng geregelt ist der Anbau von Obstbäumen. Sie fischen und jagen und halten Haustiere, nämlich Hühner, Schweine und Wasserbüffel. Die Rungus – Küche besteht hauptsächlich aus Reis und Maniok (cassava), was durch grünes Gemüse und Fisch ergänzt wird. Es wird gern Mais-Bier betrunken. Auch einfache Süßspeisen sind bekannt.

Die Rungus sind bekannt für ihre Handwerkskunst: Die Männer stellen Korbwarenbehälter (basketry containers) her, schmieden Messer und Werkzeug, die Frauen fertigen Kleidung an. Die traditionellen Rungus tragen schwarze Grundkleidung, wie fast alle Sabah-Ethnien. Verfeinert wird die Kleidung durch oft Hunderte an kleinen Perlen. Diese werden von Frauen gewebt und sie werden auch vererbt. Sie haben einen hohen Wert, oft viele tausend Euro für antike Perlen. Diese Perlenverarbeitung ist typisch für die Rungus und hebt sie von den anderen Dusun/Kadazan ab.

Frauen tragen traditional schwere Messingringe um ihre Arme, Beine, den Hals und auch um die Hüfte.

Sie sind überweigend Christen, aber ihre ursprüngliche Religion ist noch vorhanden, nämlich die agama Labus (Labus religion). Es ist eine Art Geisterglaube.

“There are two major groups of supernatural beings: celestial gods (OSUNDUW) and spirits, which include the ROGON and rice spirits (ODU-ODU). The ROGON are spirits of the physical and social environment. They are generally feared because they cause of sickness. RUSOD are a more benevolent type of rogon and are household guardians. Rice spirits are responsible for agricultural yields. The body has multiple souls that correspond to the different gods and spirits. The HATOD is the counterpart of the RUSOD and the DIVATO, or LUGU', are counterparts to celestial gods.”

(Appell/Appell 1993: abstract)

Es gibt gute und böse Geister. Alles, was exisitert, hat Geister. Geister müssen besänftigt werden, sobald irgendein Eingriff in die Natur erfolgt oder auch, wenn etwas “Falsches” begangen worden ist. Sonst würden die Geister die Familie heimsuchen.

Übrigens ist Syarif Osman an dem Geisterglauben der Rungus gescheitert. Er wollte in der Bucht von Mobang (das heutige Melabong) eine neue Siedlung errichten. Da die Arbeiter krank wurden und viele starben, vermuteten die Rungus böse Geister, die gestört worden sind.

„Syarif Osman wanted to build a village in the Teluk Mobang, however, when his people felled the jungle, they became ill and many died. They assumed that the evil spirits, which they had bothered in their homes, had sent this disease to them.“ (Spenser St. John 1862, vol I, p. 391)

Syarif Osman musste diesen Versuch abbrechen, der Geisterglaube der Rungus war stärker als sein Vorhaben. Vermutlich hat er auch Rücksicht genommen.

Eine weitere Überlieferung der Rungus betrifft den Tod von Syarif Osman, wonach die Niederlage von Marudu und Osmans Tod auch auf die Missachtung einer Anweisung eines Flussgeistes zurückgehen.

Die Rungus waren zur Zeit von Syarif Osman noch nicht christianisiert. Das geschah erst unter der British North Borneo Company.

V Zur Situation der indigenen Völker ab dem 19. Jahrhundert (Europäer, Staatengründung)

Während der Kontakt zu der malaiisch-maritimen Küstenbevölkerung sich größtenteils auf den Handel konzentrierte, griffen die Europäer im 19. Jahrhundert stärker in die Entwicklung der indigenen Bevölkerung ein. Sie entwickelten die Infrastruktur und etablierten ein Bildungssystem, hauptsächlich unter der Leitung von Missionaren. Die Inlandbevölkerung trat nun zu großen Teilen zum christlichen Glauben über.

In Sarawak etablierte sich die Brooke-Dynastie ab den 1840er Jahren, in Sabah war es die British North Borneo Company ab 1881. Beide Gebiete wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zu Kronkolonien. Die indigenen Bevölkerungen waren in der Mehrzahl. Das änderte sich schlagartig im Jahr 1963, als sich der Staat Malaysia gründete. Sabah und Sarawak wurden zu Randgebieten. Die islamischen Malaien stellten die Mehrheit dar. Um ein Gegengewicht zu schaffen, schlossen sich die indigenen Völker zusammen. In Sabah bildeten sie die Kadazan-Dudun Cultural Association (KDCA). In den 1970er Jahren versuchte die Zentralregierung in Kuala Lumpur die Islamisierung Borneos voranzutreiben. Auch islamische Einwanderer, hauptsächlich aus den Philippinen, wurden daher schnell aufgenommen. Die Kadazan-Dusun fühlten sich benachteiligt.

„What is most important for the Kadazan and other non-Muslim groups is the fear that the granting of Malaysia citizenship to a large number of Muslim immigrants from Indonesia and the Philippines has been altering the ethno-religious and political balance against them, reducing the proportion of Kadazandusun and Murut in relation to the Muslim population, therefore weakening them in the state-level ‚numbers game‘.“ (Barlocco 2014: 70)


Während Sabah 1970 nur 870 000 Einwohner hatte, waren es 2020 3,418,785 Einwohner. Parallel zum Anstieg der Bevölkerung stieg auch der Prozentsatz von Moslems von 40 Prozent im Jahr 1970 durch die Maßnahmen der Regierung in West-Malaysia auf fast 70 % im Jahr 2020. Gleichzeitig nahm die Anzahl der Personen, die zuvor Animismus angegeben hatten, drastisch ab.


Malaysia achtet zwar die kulturelle Diversität, aber in Sabah und Sarawak fühlt sich die indigene Bevölkerung als Randgruppe innerhalb von Malaysia, als dekoratives Element, das vor allem für den Tourismus und die Demonstration der Pluralität benötigt wird.

Vor diesem Hintergrund lässt sich die starke Bewegung der Kadazan-Dusun in Sabah erklären. Sie kulminiert mit dem Ernte-Fest „Kaamataan“, das seit 1960 regelmäßig gefeiert wird. Hier wird die Identität als Zugehöriger einer Sabah-Ethnie gefeiert, nicht nur unter den Kadazan, sondern in ganz Sabah. Es ist das wichtigste Fest für Sabah und ein offizieller Feiertag.


Hier abschließend zu Sabah eine Karte mit den diversen Bevölkerungsgruppen:


KARTE DEMOGRAPHIE SABAH


Sabah ist im Vergleich zu anderen Bundesstaaten und Ländern dünn besiedelt, die Bevölkerung konzentriert sich auf die Küstengegenden und die Städte. Die hier lebende Bevölkerung gehört zumeist zu den Sama-Bajau, Brunei Malaien, Bugis, Cocos Malaien, Iranun, Kedayan und Suluk (Taosug), diese arbeiten meistens als Fischer an der Küste oder Farmer im Tiefland. In den höher gelegenen Teilen und im Inneren leben überwiegend die Kadazan-Dusun, Murut und Lundayeh, sie sind Farmer und Jäger.


VI Sarawak: allgemeine Informationen zur Bevölkerung


KARTE DEMOGRAPHIE SARAWAK


In Sarawak ist die Situation ähnlich wie in Sabah: Die indigenen Völker versuchen sich gegen die Malayisierung zu wehren. Sarawak hat eine multikulturelle Bevölkerung. Bekannt sind natürlich die Dayaken. Das stellt aber einen Sammelbegriff dar und umfasst ungefähr 200 ethnische Gruppen, die in Zentral- und Süd-Borneo (Sarawak und im Süden Kalimantans, Indonesien) am Fluss oder im Gebirge siedeln. Ursprünglich waren die Dayak Animisten (Kaharingan), sind aber zu Großen Teilen dem Christentum und Islam übergetreten.

Als indigene Völker gelten hier die Bidayuh, Melanau, Orang Ulu und die Iban.


VII Die Iban


Die Iban sind die größte indigene Gruppe in Sarawak mit 45 % der Gesamtbevölkerung. Aufgrund ihrer Warfare sind sie sehr bekannt geworden, und wenn von den “gefürchteten Dayaken” oder den “Kopfjägern” die Rede ist, sind meistens die Iban gemeint – auch bei Salgari ist das so.

Die Iban wurde früher auch Sea Dayak genannt. Dieser Terminus geht auf James Brooke zurück, der zwischen den Land-Dayaken (Bidayuh) und See-Dayaken (Iban) unterschieden hat. Dennoch leben auch die See-Dayaken im Inneren des Landes.


Vermutlich kamen die Iban ursprünglich aus Sumatra, wurden am Fluss Kapuas bei der Stadt Pontianak im heutigen Indonesien sesshaft und gelangten langsam, aber stetig nach Norden bis hinauf nach Brunei.

Die Iban waren dabei nie eine zentral gelenkte Einheit, stattdessen entschied jede Langhausgemeinschaft für sich, wann und wohin sie abwanderte. Die Iban praktizierten Brandrodung zwecks Reisanbau. Neben Reis bauten die Iban andere Nutzpflanzen an und ernteten auch Wildfrüchte. Sie jagten Wildschweine mit einem Blasrohr, dessen Pfeile mit dem hochgiftigen Saft des Upasbaumes getränkt waren. Die Iban waren nomadisch, da sie nur so lange vor Ort blieben, bis die Felder verbraucht waren. Bei ihrer Ausbreitung stießen die Iban von Anfang an auf bereits ansässige Volksgruppen Borneos. Diese waren in der Regel weniger zahlreich. Sie wurden teilweise gewaltsam vertrieben und sogar ausgerottet, teilweise aber auch friedlich assimiliert, indem sie selber die Kultur und Lebensweise der Iban annahmen.

Ähnlich wie die Rungus-Dusun lebten und leben die Iban in Langhäusern, die aus Holz in Pfahlbauweise am Flussufer errichtet wurden. Dieses Langhaus kann hunderte von Metern lang sein und über 50 Familien beherbergen. Diese bilden eine Dorfgemeinschaft. Das Langhaus konnte bis zu 10 Jahren halten. Eine Langhaus ist ähnlich aufgeteilt wie bei den Rungus.

Bei den Iban besitzen Männer und Frauen die gleichen Rechte, Besitztümer und erben auch beide. Politisch wird jedoch das Amt von Männern übernommen. Es gibt einen Rat in jedem Langhaus.

In einer Langhaus-Gemeinschaft gibt es einen longhouse chief (tuai rumah), ihm steht der “bird leader” (tuai burong) zur Seite, ebenso der farming leader (tuai umai) und der Shamane (shaman, manang).

Der traditionelle Glaube der Iban ist durch polytheistische und animistische Vorstellungen geprägt.

Eine besondere Bedeutung hat Vogelgesang. Vögel gelten als Übermittler und Träger von Botschaften übernatürlicher Wesen und Götter, ihr Gesang bedarf daher genauer Beobachtung und Interpretation.

Christliche Missionare konnten die Bevölkerung Sarawaks erst recht spät, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, erreichen. Noch im Jahr 1960 bekannten sich von den etwa 240.000 Iban in Sarawak noch 210.718 zu ihrem ursprünglichen Glauben, und nur 26.608 zum Christentum sowie 415 zum Islam. Inzwischen jedoch ist ein Großteil zum Christentum übergetreten, im Jahre 2005 waren es rund 70 % aller malaysischen Iban. An traditionellen Gebräuchen und Festen (Gawai Antu/festival of the dead, Gawai Dayak/Harvest Festival) wird aber dennoch festgehalten.

Die Kopfjagd

Die Kopfjagd bedeutete das rituelle Erbeuten und Heimbringen der Schädel getöteter Feinde.

Sie war nicht nur auf Borneo, sondern im gesamten insularen Südostasien bei vielen Volksgruppen verbreitet.

Neben dem allgemeinen Prestigegewinn für einen erfolgreichen Kopfjäger war das Heimbringen von Schädeln vor allem von religiöser Bedeutung und wurden für Rituale benötigt, wie etwa beim Bau eines neuen Langhauses oder bei der Heirat des Dorfoberhauptes. Ein weiterer Beweggrund zur Kopfjagd war die Vergeltung, wenn eine Gemeinschaft selbst Opfer der Kopfjagd geworden war.

Nach erfolgreicher Kopfjäger durfte man sich die Hände tätowieren lassen. Dabei wurde manchmal nach dem ersten erbeuteten Kopf der gesamte Handrücken tätowiert, manchmal für jeden Kopf ein einzelnes Fingerglied. Tätowierungen waren und sind allgemein üblich bei den Iban.

Einem erfolgreichen Krieger ebenbürtig war eine Frau, die einen hohen Grad bei der Webkunst (pua kumbu) erreicht hat.

In früherer Zeit ebenfalls weit verbreitet war die gleichfalls von beiden Geschlechtern durchgeführte Tradition, die Ohrläppchen mittels schwerer Gewichte zu dehnen, bis sie nach einigen Jahren mehrere Zentimeter lang sein und beinahe bis zu den Schultern reichen konnten.

Anmerkung:

Das Leben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Sarawak kann man gut im “Sarawak Cultural Village” studieren, das ca. 30 Kilometer von Kuching entfernt und wirklich gut über diese Ethnien, ihre Häuser und Lebensstil, Besonderheiten informiert.

Ein ähnliches lebendiges Museum namens Mari Mari Cultural Village befindet sich bei Inanam, Kota Kinabalu, und betrifft die Ethnien aus Sabah. (Videoaufnahmen)

Auch kann man ein Rungus-Langhaus besichtigen, darin übernachten – man wäre dann quasi im Staatsgebiet von Marudu.

Wer lieber da Abenteuer erleben möchte, wo Sandokan groß geworden ist, dem empfehle ich einen Aufenthalt in einer Lodge am Kinabatangan River.


VIII Ethnische Herkunft von Sandokan

Übrigens: Sandokan! Marudu wurde am 19. August 1845 von den Briten überfallen und dem Erdboden gleichgemacht. Auch Sandokan hatte hier mitgekämpft. Er selbst stammte aber aus einem Gebiet weiter im Osten gelegen, nämlich aus dem Ort Melapi am Kinabatangan-Fluss.

Sandokans Geburtsort in Sabah kann erklären, warum er bei Salgari als „bornese“ bezeichnet wird und nicht näher spezifiziert wird. Er ist eben kein Dayake, Malaie, Javaner, Tagale oder Negrito. Er ist ein Einheimischer von Nord-Borneo, ein Bornese.

Sandokans Familie stellte die führende Familie am Kinabatangan dar. Tatsächlich war sie bereits muslimisch (so wie es Salgari auch Sandokan zuschreibt), was vermutlich durch den Kontakt zum Sultanat von Sulu gekommen ist. Die Familie stammt aus den Reihen der Orang Sungei (River people). Diese Bevölkerungsgruppe gehört auch der Kadazan-Dusun-Gruppe an.

Sandokans Familie ist durch seine Inbesitznahme der Gomantong-Höhlen reich geworden, seine Nachfahren sind immer noch sehr reich und politisch aktiv. Sie residieren jetzt in Sandakan und nicht mehr in Melapi. Dort kann man aber noch das Grab seiner Mutter und die Stelle der alten Siedlung sehen. Es gibt auch einige Legenden über Sandokan. 2019 habe ich erfahren, dass er hoch oben auf dem Gomantong-Berg sein Grab gefunden haben soll.

Die Erinnerung an Sandokan ist in Sabah durch orale Überlieferungen von Marudu und vom Kinabatangan lebendig geblieben, sein Name wurde in Stammbäumen aufgezeichnet, was die einzige Art der schriftlichen Niederlegung im 19. Jahrhundert darstellte.

In Europa hat Emilio Salgari für die Erinnerung an Sandokan gesorgt, eben als Freiheitskämpfer.

Dr. Bianca Maria Gerlich, November 2022