Sandokan historisch

Sandokan hat im 19. Jahrhundert im Norden Borneos gelebt, und zwar am Kinabatangan, einem der größten Flüsse in Borneo überhaupt. Da der Familienstammsitz im 19. Jahrhundert der Ort Melapi an jenem Fluss war, ist es wahrscheinlich, dass auch Sandokan hier geboren wurde und/oder gelebt hat. Sandokans Vater hatte einen recht langen Namen, er hieß Maringganlapasentdhan und trug den Beinamen "Taribong Mandog Awan", was im malaiischen "Harimau Udara" bedeutete und im Deutschen mit "Tiger der Lüfte" wiedergegeben werden kann. Auch seine Söhne trugen derartige Beinamen, die aber leider heute nicht mehr in der von Sandokan abstammenden Familie bekannt sind. Sandokans Mutter hieß Adoran. Er hatte vier Brüder, nämlich Kassanudin, Paid, Manggi und Pagkon. Pagkon war wiederum der Großvater von dem in Nord-Borneo berühmt gewordenem Pengiran Sammah, der sich gegen die Briten zur Zeit der British North Borneo Company erhoben hat und am 17.2.1884 bei einem Kampf gegen jene ums Leben kam. Das besondere an der Familie Sandokans ist, dass sie in Borneo heimisch ist. Viele der adligen Geschlechter Borneos entstammen nämlich eingewanderten, bereits schon adligen Familien. Die Familie Sandokans stellt so etwas wie den "ur-borneoschen" Adel an sich dar. Er selbst kann als der Begründer des Familienreichtums angesehen werden, da die Familie damals wie heute von den Vogelnesterhöhlen profitierte, die von Sandokan entdeckt worden sind. In jenen Höhlen wurden zweimal im Jahr Vogelnester "geerntet", die zu hohen Preisen an die Chinesen gingen, die die Nester wiederum als geleeartige Masse - eine Delikasse für die Chinesen! - zubereiteten. Viele Geschichten ranken sich gerade darum, wie Sandokan diese Höhlen entdeckte und diesen Besitz gegenüber den mächtigen Sultan von Sulu verteidigte, geradezu absicherte. Bis zu diesem Zeitpunkt kann sein Lebenslauf anhand der Berichte von Flussbewohnern des Kinabatangans und seinen Nachkommen, der Familie Galpam in Sandakan, nachvollzogen werden.

2019 besuchte ich den Kinabantangan wieder für ein paar Tage und suchte nach einer Möglichkeit, das alte Melapi zu besuchen. Ich bekam eine Ahnung, dass es hier weitere Überlieferungen über ihn geben musste. Ich hätte gerne mehr Zeit für Interviews gehabt, weil das Thema aus Film und Fernsehen noch nicht bekannt ist, und schon gar nicht bei der älteren Bevölkerung. So besuchte ich immerhin Alt-Melapi, sah das Grab seiner Mutter und die Überreste der alten Behausungen aus dem 19. Jahrhundert, die nach der Ermordung von Pengiran Sammah verlassen worden waren. Zudem erfuhr ich, dass Sandokan selbst hoch oben auf der Gomantang-Höhle bestattet worden ist.

In Marudu, einem Ort in ca. 200 Kilometern Luftlinie entfernt, ist Sandokan als Freund und Kampfgefährte Syarif Osmans, der auch gegen die Briten gekämpft hat, im Gedächtnis geblieben. Syarif Osmans Festung in Marudu mag so etwas wie das wirtschaftliche und gesellschaftliche Zentrum zur Zeit Sandokans dargestellt haben, das ihn sicherlich auch angezogen haben wird. Syarif Osmans Banner war übrigens die rote Flagge mit dem Tigerkopf. Sandokan soll die Festung des damals sehr einflussreichen Syarifs am 19.8.1845 gegen die Briten verteidigt haben. Leider hat die Bevölkerung Marudus verloren und die Festung ist zerstört worden. In Limau-Limawan, das im Norden der Bucht von Marudu liegt, ist Sandokan als ein Seeheld in Erinnerung geblieben, der das Meer von Sulu bis zur Malakka-Straße beherrscht haben soll.

Was mit dem historischen Sandokan nach der Schlacht von Marudu geschehen ist, kann leider nicht nachvollzogen werden. Emilio Salgaris Sandokan-Romane setzen ab einem Zeitpunkt (1849) kurz danach ein, schildern aber Ereignisse, die an den 19.8.1845 erinnern.

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