Salgari-Gedenkstein auf Mompracem

Salgari-Gedenkstein auf Mompracem (Text von Dr. Bianca Maria Gerlich)

(Meinem Vater Horst Gerlich [1939 – 2000] gewidmet)

Vor 50 Jahren haben zwei Italiener zu Ehren von Emilio Salgari auf der Insel Mompracem eine Inschrift auf einer Art Gedenkstein hinterlassen, und zwar an keinem geringeren Ort als der berühmt-berüchtigten Insel von Sandokan im Romanzyklus “I Pirati della Malesia”.

Die Journalisten Rolando Jotti und Giuglio Raiola reisten 1971 nach Malaysia. Raiola wollte ein Buch im Rahmen der neuen Sandokan-Verfilmung von Sergio Sollima schreiben. Es erschien 1975 unter dem Titel “Sandokan – Mito e Realtà”. Im Gegensatz zu vorigen Sandokan-Verfilmungen sollte dieser TV-Mehrteiler in Sandokans Heimat Malaysia gedreht werden. Auf den Spuren von Sandokan hielt Raiola auch nach Mompracem Ausschau. Der Name ist auf alten Karten verzeichnet, doch auf modernen nicht mehr.

In Brunei befragten Raiola und Jotti befragten den Historiker Robert Nicholl, der sich nicht nur auf die Geschichte Bruneis spezialisiert hat, sondern auch auf die Geschichte der Kartografie Borneos, zu der im Brunei Museum Journal zwei Artikel erschienen sind (1976, 1980). Er identifizierte die heutige Insel Keraman (auch: Kuraman) als Mompracem und hob die strategische Bedeutung der Insel hervor:

Obviously Mompracem was of importance, even though it was a minute island lying close to the south-west point of Labuan. Its importance was navigational; it was the point at which vessels turned east to enter Brunei Bay.” (Nicholl 1976: 104)

Tatsächlich sieht man im Kartenmaterial des 16./17. Jahrhunderts die Insel überproportional groß im Vergleich zur eigentlich größeren Nachbarinsel Tigao(n), dem heutigen Labuan. Manchmal ist auch nur Mompracem eingezeichnet. Für die portugiesischen Seefahrer war Mompracem wichtiger als Labuan, da Mompracem als Wegweiser zum Sultanat Brunei galt. Hier hielten die Portugiesen, die nach ihrer Eroberung von Malakka 1511 als erste Europäer Teile Südostasiens beherrschten, auf dem Weg en route zu den Gewürzinseln, auch um mit dem Sultanat Handel zu betreiben.

Die Seekarten mussten verlässlich für die Seefahrer sein. Das Gewässer um Mompracem weist Untiefen auf und ist von Korallenbänken durchsetzt.

Die frühen Karten sind weit davon entfernt, perfekt zu sein bzw so auszusehen wie heutige Land- und Seekarten. Zunächst hatten die Portugiesen sogar nur eine Linie für die Nordwestküste Borneos gezeichnet, bevor es dann einen Umriss der ganzen Insel gab, der aber auch anfangs nicht stimmte. Allerdings liegen auf den portugiesischen Karten die beiden Inseln Tigao/Mompracem immer beieinander und direkt vor der Bucht von Brunei. Da sie in derselben Position auf Karten ab dem 19. Jahrhundert als Labuan/Keraman auftauchen und nicht mehr als Tigao/Mompracem, hat Nicholl diese Inseln als Labuan/Keraman identifiziert.

Die Änderung der Namen sowie auch die teilweise merkwürdigen Positionierungen von Mompracem im Kartenmaterial anderer europäischer Nationen ist der historischen Entwicklung geschuldet: Nach den Portugiesen errichteten die Holländer durch die Eroberung Malakkas 1641 ihr Kolonialreich in Südostasien, das in etwa dem heutigen Indonesien entsprach, mit der Hauptstadt Batavia (Jakarta) auf Java. Daher befuhren die Holländer die Südroute via Java zu den Gewürzinseln und nicht mehr die Nordroute via Brunei. Der Nordwesten Borneos war bis ins 19. Jahrhundert frei von der Besetzung durch Europäer, die Holländer hatten sich nur im Süden und Südosten von Borneo niedergelassen. Ihre Kartografen zeichneten die Lagen und Namen der Inseln in ihrem Kolonialreich richtig ein, hatten aber keine eigene Erfahrung mit Nordwest-Borneo.

Namen gerieten so an falsche Stellen. Gerade in einigen frühen Karten der Niederländer liegt Mompracem irgenwo mitten im Ozean liegen, jedenfalls entfernt von der ursprünglichen Position der portugiesischen Karten.

Kartografen weiterer Nationen griffen auf das Kartenmaterial der Holländer zurück und wiederholten die Fehler, und so zeigt auch die Karte von Hermann Stülpnagel (1870), die Emilio Salgari vermutlich für seine Beschreibung der Lage von Mompracem benutzte, die falsche Position der Insel auf. Mompracem ist nicht weit von der Küste entfernt, sondern sie liegt nur 5 km südwestlich von Labuan entfernt.

Erst die Briten, die im 19. Jahrhundert die Nordroute befuhren und schließlich Nordwest-Borneo für sich beanspruchten (James Brooke in Sarawak, North Borneo Company in Sabah), fertigten wieder verlässliche Karten dieser Region. Sie zeichneten Keraman/Labuan genau dort ein, wo die Portugiesen Mompracem/Tigao(n) platziert hatten.

Einige Orte haben im Laufe der Zeit ihre Namen gewechselt. Die Portugiesen hatten entweder Namen gegeben, die aus ihrer eigenen Sprache stammen, z. B. Isla dos Ladrones (Balabac), oder sie hatten die einheimischen Namen durch Hörensagen übernommen. Das erklärt die vielen Namensvariationen im Hinblick auf Mompracem wie “Mopiasem” (1554), “"Mōpalacā" (1560), "Mõpraçam" (1576), "Mon Pratem" (1592), “Mon Pracem” (1598), “Pracem” (1602) und viele mehr.

Dennoch hat die Insel ihren Namen nicht wirklich gewechselt, denn eine sprachliche Untersuchung (Gerlich 2013: 48/49) zeigt, dass die Namen Mompracem und Keraman auf dasselbe malaiische Grundwort zurückgehen, das “sich an einem Ort niederlassen”/”brüten” bedeutet und auf das Brutverhalten von Vögeln hinweist.

Tatsächlich gehört Mompracem zu den wenigen Orten der Region, an denen sich das Großfußhuhn niedergelassen hat, das ein markantes Brutverhalten hat: Es begräbt seine Eier in einem riesiegen Hügel aus Nistmaterial, darin werden die Küken durch die Wärme ausgebrütet. Guillemard (1886: 264) stellte während seiner Expedition fest, dass der Vogel fast auschließlich auf den “Kuraman Inseln” südwestlich von Labuan brütet. Eine Nachbarinsel von Keraman heißt zudem “Burong”, übersetzt “Vogel”. Die Insel Mompracem/Keraman ist also nach den dort brütenden, sehr auffälligen Großfußhühnern benannt.

Ob Raiola und Jotti das Philippinen-Großfußhuhn auf Mompracem noch sichten konnten, ist unklar. Doch sie vernahmen während ihres zweitägigen Aufenthalts Geräusche von Vögeln und anderen Tieren, und sie sahen auch noch die Schildkröten, die ihre Eier am Strand eingruben. Die Fauna war vor 50 Jahren wohl noch relativ intakt. Bei meinem ersten Aufenthalt 27 Jahre später sichtete ich weder Großfußhuhn, noch Schildkröten. In den 2010er Jahren setzte man zwecks Wiederansiedlung mehrere hundert kleine Schildkörten auf der Nachbarinsel Rusukan Besar am Strand aus. Korallenrahmen wurden in den Gewässern bei Keraman ins Meer gelassen.

1971 gab es auf Keraman noch keinen Tourismus, Raiola und Jotto trafen einzig den Leuchtturmwärter und seine Söhne dort an, erkundeten mit ihrer Hilfe die Insel und gaben den geografischen Gegenheiten Namen aus dem Salgari-Universum, nämlich “Capo Kammamuri”, Baia Yanez”, “Spiaggia Tremal-Naik”, “Coda di Tigre” (für die lange markante Sandzunge am Ostende der Insel), “Sinus Darmae” und “Sinus Mariannae”.

Euphorisch, dass sie Mompracem mit Hilfe von Nicholl quasi wiederentdeckt hatten, planten sie schon vor ihrer Anreise, einen Gedenkstein zu hinterlassen und deckten sich mit entsprechendem Material und Werkzeug vor ihrer Abfahrt in Labuan ein. Raiola (1975: 207) berichtet:

“La lapide sulla spiaggia fu il capolavoro di Rolando Jotti. Cominciò mescolando sabbia e acqua di mare, un grande cappello da cow-boy sul capo, a ripararlo dal sole del tropico. […] Poiché avevamo comperato del minio a Labuan, giudicammo che la sua migliore utilizzazione fosse quella di dar corpo al testo della lapide. Quando la targa fu preparata su un piano di roccia inclinato, sufficientemente alto per essere al riparo delle onde, ci scrivemmo con un pennellino.”

Sie schmückten den Stein ringsherum mit drei Flaggen, nämlich mit der von Malaysia, mit der von Italien und natürlich mit der Tigerflagge.

Ein Jahr später erblickte Raiola beim Überfliegen mit einem Kleinflugzeug den Stein abermals.

Ich habe das Buch von Raiola 1995 gelesen. Drei Jahre später besuchte ich erstmals die Insel Keraman, und zwar mit meinen Eltern Irene und Horst Gerlich. Vom Jachthafen in Labuan aus konnte man regelmäßig nach Keraman per Motorboot in 20 bis 30 Minuten hinübersetzen, denn inzwischen waren touristische Anlagen auf der Insel errichtet worden. Sie eignet sich gut als Basis zum Wrack-Tauchen und Schnorcheln in den Korallen rings herum. Die touristischen Anlagen waren allerdings in nicht mehr gutem Zustand. Inzwischen hatten sich Bewohner auf der Insel niedergelassen, mehrere kleine Orte waren entstanden, die wir beim Umrunden der Insel sehen konnten. Da mein Vater ebenso abenteuerlustig wie ich gewesen ist, schlugen wir uns auch durch den Dschungel. Der Pfad führte uns in eine Bucht. Mein Vater, mit freiem Oberkörper losmarschiert, war das Opfer von hunderten Mücken geworden und wollte nicht durch den Dschungel zurückkehren, sondern an der Küste, die aber von Felsen versperrt war. Also kletterte er hinauf, trotz meines Protestes, denn ich befürchete, dass es auch dort Schlangen – wie zuvor auf einem Felsen im Meer gesehen - und Skorpione geben könnte. Ich stand also noch unten, unschlüssig, was ich von dem Unternehmen halten sollte, hoffte, dass er umkehrte, doch dann rief er, dass dort oben etwas von Sandokan geschrieben sei. Sehr schnell kletterte ich nun hinterher und glaubte meinen Augen kaum zu trauen, als ich den Gedenkstein mit der Inschrift sah. Die Initialien “R.J. - G.R.” verrieten: Mein Vater hatte den Stein, den Rolando Jotti und Giulio Raiola 1971 errichtet hatten, gefunden! Er war sehr stolz darauf und überlegte sogar, auch eine Inschrift zu hinterlassen. Leider fehlte uns dazu die Zeit. Wir kletterten über diese Felsen zur nächsten Bucht und gelangten von dort über Stock und Stein am Tankerwrack vorbei zur Bucht, wo meine Mutter uns erwartete.

Zwei Jahre später war ich mit meinem Freund Simon noch einmal dort, der Stein war noch da. Simon hatte meine Homepage mompracem.de eingerichtet, dort berichtete ich über Keraman und den Gedenkstein. So erreichten mich in den nächsten Jahren einige Anfragen, wo genau auf der Insel man den Stein finden könnte. Ich beschrieb es zwar so gut ich konnte, doch es gelang niemanden mehr, den Stein zu finden.

Ab 2004 wurde die Gegend um Keraman auch als Labuan Marine Park deklariert, touristische Anlagen wurden neu errichtet, der Anleger kam an eine andere Stelle, es wurden Picknickanlagen und Übernachtungsmöglichkeiten eingerichtet. Fotos und Videos im Internet zeugen von dieser Zeit.

Leider verfielen die Anlagen auf Keraman ein weiteres Mal. Der Steg ist noch intakt und wird vom Leuchtturmpersonal benutzt. Doch eine direkte Verbindung von Labuan aus gab es 2019 nicht mehr, als ich, zusammen mit einer Bekannten, abermals auf die Insel wollte. Nach vielen Nachfragen und dem Hinweis auf meine wissenchaftliche Tätigkeit brachte uns schließlich jemand vom Jachthafen nach Keraman. Die Insel war inzwischen ziemlich zugewuchert. Vom neuen Anleger waren wir zunächst zu den Felsen nach Westen gegangen, fanden den Stein aber nicht. So glaubte ich den Vermutungen derjenigen, die den Stein in den letzten 19 Jahren gesucht hatten: Er war vermutlich von Wind, Wellen und Sturm abgetragen worden. Kurz bevor wir nach Labuan zurückkehren wollten, entdeckte ich im Wasser die Spuren des alten Tankerwracks, es war nur noch als Raster im Wasser erkennbar. Sofort wusste ich, wo ich den Stein zu suchen hatte, denn er lag ja auf den Felsen neben der Bucht mit dem Tankerwrack. Wir erkletterten die großen Felsen rechts daneben und fanden tatsächlich den Gedenkstein. Er war erhalten, auch wenn an seinem linken oberen Rand ein Stück abgebrochen war. So ruhte der Stein nun schon seit 48 Jahren auf Mompracem! Das mutet selbst schon historisch an für ein tropisches Land und gar für eine Insel, die dem Wetter gerade auf ihrer Nordseite sehr ausgsetzt ist. Noch immer kann man auf Mompracem die Inschrift lesen, die zu Ehren von Salgari von zwei Italienern 1971 angefertigt worden ist:


QUEST'ISOLA ISPIRÒ ALLO SCRITTORE

EMILIO SALGARI (1862 - 1911)

LE AVVENTUROSE IMPRESE DI SANDOKAN

LA TIGRE DELLA MALESIA PER I SOGNI DEI RAGAZZI ITALIANI

IN MOMPRACEM RITROVERATA R. J. - G. R. 29-8-1971



Literatur:

Gerlich, Bianca: Marudu 1845 - The Destruction and Reconstruction of a Coastal State in Borneo. Hamburg 2003.

Gerlich, Bianca: „Finding the Island Mompracem. The Problem of Mapping the Northwest Coast of Borneo from 16th to 20th Century.“ In: Oriente Moderno, Volume 93, Issue 1, 01 January 2013, S. 32 –78.

Guillemard, F. A. H.: The Cruise of the Marchesa to Kamschatka & New Guinea with notices of Formosa, Liu-Kiu, and various Islands of the Malay Archipelago. London 1886.

Nicholl, Robert: „The Sixteenth Century Cartography of Borneo.“ In: The Brunei Museum Journal, vol. 3, no. 4, 1976. 96-126.

Raiola, Giulio: Sandokan – mito e realtà. Roma 1975.